Sena Jurinac
1921-2011
Es war der 1. Mai 1945. Ein Schicksalstag. Wien feierte Wiederauferstehung - indem man Oper spielte. Das Haus am Ring war dem Bombenangriff vom 12. März zum Opfer gefallen. Also gab man Figaros Hochzeit auf Befehl der sowjetischen Besatzer im unversehrt gebliebenen Volksoperngebäude. Josef Krips, wenige Tage zuvor noch vor den Nationalsozialisten versteckt, stand am Dirigentenpult.
Auf der Bühne: Das legendäre Wiener Mozart-Ensemble - und ein Neuling: Sena Jurinac. Karl Böhm, Wiens Opernchef bis zum Ende des Dritten Reichs, hatte die blutjunge Künstlerin, halb Wienerin, halb Kroatin, noch engagiert. Doch der »totale Krieg« verschob ihren ersten Einsatz auf das große Datum danach. »Singen Sie's halt kroatisch«, hatte Böhm der 23-Jährigen beim Vorsingen zugerufen, als sie bekannte, eine gewünschte Partie nicht auf Deutsch zu beherrschen.
Trotzdem war sie engagiert worden, denn diese Stimme wollte sich kein Dirigent entgehen lassen. Sena Jurinac war ab ihrem ersten Cherubin ein Publikumsliebling und ist es knapp vier Jahrzehnte lang geblieben.
Eine Draufgängerin war sie in den ersten Jahren, der keine Herausforderung zu groß war: »Die Dorabella habe ich in drei Tagen gelernt«, erzählte sie einmal. Sie hat kaum je darüber nachgedacht, ob eine Rolle, die ihr zusagte, in ihr Stimmfach passte oder nicht. Je blutvoller ein Charakter, desto lieber hat sie ihn dargestellt, ob Mezzosopran, Sopran, lyrisch oder dramatisch.
Die Jurinac blieb stets selbst ihr strengster Richter. Sie sagte auch unumwunden, wenn ihr eine Partie nicht zusagte; und gab zum Beispiel Schostakowitschs Lady Macbeth zurück. Das war in der Ära Karajan. Immerhin hatte die Jurinac auf Anregung des Chefs eine ihrer Traumrollen gefunden: »Die Butterfly«, hat sie gern betont, »die hatte ich Karajan zu verdanken, der mir empfahl, sie zu singen, obwohl ich gedacht hätte, dass das für mich unmöglich sein würde.«
Die Puccini-Premiere, dirigiert vom legendären Dimitri Mitropoulos, war eine ihrer Sternstunden. Nebst dieser »Italienischen Isolde« (© Jurinac) waren die Marina in Mussorgskys Boris Godunow in einer legendären Salzburger Festspiel-Produktion unter Herbert von Karajan, Janaceks Jenufa, der Rosenkavalier und - im selben Stück - ab Mitte der Sechzigerjahre die Marschallin Leib und Magen-Partien.
Auch in Jenufa hat die große Singschauspielerin einen Wechsel vollzogen: Einer atemberaubenden Charakterstudie der Küsterin in dieser Oper galten, nebst der Marschallin, die letzten Bühnenauftritte von Sena Jurinac in Wien. Danach hat sie vor allem unterrichtet, geduldig und mit Liebe auch zu den Stimmen ihrer Schützlinge, von denen es etwa Christine Schäfer oder Bo Skovhus in die höchsten Ränge geschafft haben.
Ihre letzten Jahre verbrachte Sena Jurinac in der Nähe von Augsburg, wo sie zurückgezogen lebte.